Jutta Riedel-Henck, Herbert Henck

Ziegenhainer Klangparade
für Klavier zu vier Händen, 1992
35’14 min.
Audio-CD
Empfohlener Ladenverkaufspreis: € 12,-
Kompost-Verlag, Sept. 2001
Musik aus dem Jetzt
Bestellnr.: MADJ 1
€ 10,- über Bestellformular

 

Die Ziegenhainer Klangparade

Die Ziegenhainer Klangparade entstand als vierhändige Klavierimprovisation am Abend des 31. Januar 1992 in der Evangelischen Stadtkirche im nordhessischen Schwalmstadt-Ziegenhain.

Die im siebzehnten Jahrhundert erbaute Kirche liegt im histori­schen Ortskern, umschlossen vom Wallgraben der ehemaligen Wasser­fes­tung, und hier wiederum am einstigen Paradeplatz, der heute noch diesen Namen trägt. Der Kirchenraum zeichnet sich durch einen angenehmen Nachhall aus, der bei der Wiedergabe von Musik die Klänge stützt und Einzelheiten auch in raschen Tempi noch ihre erwünschte Klar­heit lässt. Hier hatte ich in den vorausgegangenen Tagen John Cages Music for Piano 1–84 für eine Schallplatte produziert, und am selben Ort führte ich einen Tag später in einem öffentlichen Konzert die Música Callada, die »schweigende Musik« des Spaniers Federico Mompou auf. Die Möglichkeit zu einer gemeinsamen Improvisation und ihrer Aufzeichnung auf einem Tonträger ergab sich aus diesem Rahmen und war in den verbindlichen Termin­ablauf von Platten­produktion und Konzert nicht eingeplant gewesen.

Es hatte somit keiner besonderen Vorbereitungen bedurft, und keine Verabredung hatte stattgefunden, wie lange musiziert werden sollte, wie viele Sätze entstehen könnten oder welches musikalische Material zu verwenden wäre – all dies wurde bewusst dem Augenblick, dem ganz gegenwärtigen Hören und Empfinden anheim gestellt. Waren wir auch nicht unerfahren im gemeinsamen Zusammenspiel, so war doch weder geübt noch geprobt worden, und die einzige im Voraus getroffene Über­einkunft hatte in der Entscheidung bestanden, wer im Bass spielt und wer das rechte Pedal übernimmt. Ob sich die gleichsam beiläufig entstehende Tonaufnahme, die zunächst lediglich dokumen­tarischen Charakter besitzen sollte, zu einer Veröffentlichung eigne, stand damals nicht zur Diskussion.

Herbert Henck
Deinstedt, Juni 1993 / Mai 2001

 

 

Die Ziegenhainer Klangparade
Eine Begegnung in Erwartung klingender Augenblicke

Zeit vergeht losgelöst vom Tempo der Musizierenden, eine Konstante, die niemand wahrnehmen kann, ohne zu relativieren.

Sich dem Augenblick hinzugeben und der spontanen Inspiration zu dienen, zu empfangen und wie ein Werkzeug zu funktionieren, ist Voraussetzung für wirklichkeitsnahe Kunst, was immer auch darunter zu verstehen sei.

Der denkende Mensch schafft sich seine Kunst, schöpft aus dem, was er zu hören, sehen, spüren vermag.

Unberechenbarkeit und Wiederholung wechseln einander ab, aber so, dass auch der Schöpfende Überraschungen erlebt.

Völlige Beherrschung der Kunst muss Utopie bleiben, der Drang zur Vollkommenheit Motor zu immer neuen Schöpfungsakten.

Die Bereitschaft, beweglich zu sein, ohne den Umweg über notierte und zu interpretierende Symbole einzubeziehen, bietet die Möglichkeit zum lebendigen Schöpfungsakt. Improvisation ist das Erlebnis von Komposition, unmittelbar und sinnvoll, echt und originell – ein Weg zum wahrhaft Einzigartigen.

Die Begegnung zweier Improvisierender ist daher eine Begegnung ohne Umwege, ihr Zusammenspiel Abbild einer Beziehung, unverfälscht, ohne den Hang zur Berechnung und Kalkulation.

Dennoch finden herkömmliche und einstudierte Muster, Rhythmen und Themen Platz in immer neuen Zusammenhängen, Zeit wird scheinbar in unterschiedlichen Dimensionen dargestellt und erlebt, lineare Verläufe durch rhythmische Einfachheit wandeln sich in undurchschaubare Räume – Klänge werden statisch wie die Eigendrehung der Erde, die ein einzelner Mensch nicht erkennen kann, ohne sich von seinem irdischen Dasein zu lösen.

Wiederholtes Pulsieren von Tönen und Klängen vermittelt das Bewusstsein von Geborgenheit im Wiedererkennen des eigenen Herzschlages, des Ein- und Ausatmens, Marschierens – einem Vorwärtstreiben mit ungewissem, aber erhofftem Ziel.

Eine Parade dessen, was Klänge als Bild im Verlauf von Zeiträumen erleben lassen können: ein Ereignis, das scheinbar schnell vorübergeht, aber dennoch lange Zeit in Erinnerung bleibt:

eine Klangparade.

Jutta Riedel-Henck
Deinstedt, Juni 1993

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